EINE KURZE GESCHICHTE DES UNTERNEHMENSZWECKS
Im Mittelalter waren Unternehmen oft eng mit öffentlichen Interessen verbunden. Mit der Entstehung privater Aktiengesellschaften änderte sich dies. Der Skandal rund um die South Sea Company von 1720, ausgelöst durch Spekulationen und falsche Versprechen, führte jedoch wieder zu strengeren Regularien, konkret dem britischen Bubble Act.
Erst mit dem Limited Liability Act von 1855 erhielten Unternehmen die Eigenschaften, die wir heute kennen: eine eigene Rechtspersönlichkeit, beschränkte Haftung und das Shareholder-Primat, also die Priorisierung der Aktionärsinteressen.
DAS SHAREHOLDER-PRIMAT
Das Shareholder-Primat (auch Shareholder Value oder Shareholder Governance) wurde in den USA im Fall Dodge v. Ford Motor Co. in 1919 rechtlich verankert.
Das Gericht entschied, dass der primäre Unternehmenzweck in der Schaffung von Gewinn für die Aktionäre liegt. Henry Fords Versuch, Gewinne für zu reinvestieren, um Mitarbeitern höhere Löhne zu zahlen und den Kunden günstigere Autos anzubieten, wurde zugunsten der Dodge-Brüder, wichtige Minderheitsaktionäre, abgelehnt.
Auch wenn man argumentieren kann, dass Fords Ansatz langfristig finanziell vorteilhaft gewesen sein könnte, prägte das Urteil die Ausrichtung vieler Unternehmen und verankerte das Shareholder Value Konzept in der westlichen Welt.
DER AUFSTIEG DES STAKEHOLDER-KAPITALISMUS
Im 20. Jahrhundert gewannen Stakeholder-Ideen an Bedeutung. Besonders in Zeiten gesellschaftlicher Krisen – schon während der Industrialisierung bis zur Finanzkrise 2007/08 und kürzlich der Covid-Pandemie – wurden soziale und ökologische Verantwortung von Unternehmen zunehmend eingefordert.
Heute fordern nicht nur Aktivisten, sondern Organisationen wie das Weltwirtschaftsforum und der Business Roundtable, ein Verband von CEOs grosser US-amerikanischer Konzerne, eine Balance zwischen den Interessen von Aktionären und denen anderer Anspruchsgruppen.
ENLIGHTENED VS. PLURALISTIC STAKEHOLDER GOVERNANCE
In der akademischen Literatur wird zwischen zwei Governance-Ansätzen differenziert:
Pluralistic Stakeholder Value – Dieser Ansatz verkörpert eine intrinsische Motivation zur gleichwertigen Befriedigung aller Stakeholder-Interessen.
Enlightened Shareholder Value – Dieser Ansatz berücksichtigt Stakeholder-Interessen insofern diese helfen, den langfristigen Wohlstand der Anteilseigner zu erhöhen.
Enlightened Shareholder Value unterscheidet sich damit nicht wesentlich vom herkömmlichen Shareholder Kapitalismus, wie ihn auch der Nobelpreisträger Milton Friedman 1970 in der New York Times definierte: «The Social Responsibility of Business is to Increase its Profits.»
Während Friedmans Haltung gerade in der heutigen Diskussion um Stakeholder-Interessen regelmässig kritisiert wird, wird oft übersehen, dass auch Friedman betonte, dass Unternehmen die Regeln des Marktes einzuhalten haben. Sie dürften nur innerhalb des Gesetzes operieren und sollen moralische Grundsätze respektieren.
Alle darüber hinausgehenden – also sozialen oder ökologischen Ziele – seien jedoch nicht Aufgabe des Unternehmens, sondern Aufgabe von demokratisch gewählten Regierungen. Manager und Investoren können sich privat sehr wohl für solche Zwecke engagieren, nicht aber auf Kosten des Unternehmens oder seiner Anteilseigner.
Diese Argumentation steht im Widerspruch zu dem, was Befürworter des Pluralistic Stakeholder Value-Ansatzes fordern. Diese würden nämlich eine Umverteilung des Wertes von Shareholdern zu anderen Stakeholdern erlauben und begrüssen. Sie sehen den Zweck des Unternehmens in der Gesellschaft damit fundamental anders.
DIE NOTWENDIGKEIT ZUR DEFINITION DES UNTERNEHMENSZWECKS
In der Praxis wird die Grundsatzfrage nach dem Zweck des Unternehmens auf Ebene einzelner Unternehmen oft übersehen. Gesetze und Standards erfordern zwar die Berücksichtigung von Stakeholder-Interessen. Gesetzgeber und Regulatoren argumentieren, dass soziale und ökologische Faktoren hilfreich seien zum Erreichen nachhaltiger finanzieller Ziele, für die Senkung der Kapitalkosten oder für einen besseren Zugang zu Investitionen. Doch sie konkretisieren nicht, ob diese Interessen ein Ziel an sich sind oder eine Massnahme zum Erreichen des langfristigen Unternehmenserfolgs sind.
Hier Klarheit zu schaffen, ist jedoch für ein Unternehmen essenziell, um die korrekte Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln, Leitlinien zur Lösung Stakeholder-bezogener Interessenkonflikte zu entwickeln und ein Steuerungs- und Überwachungssystem mit nichtfinanziellen KPIs aufzustellen, das angemessen ist, indem es die rechtlichen und regulatorischen Voraussetzungen erfüllt und gleichzeitig mit dem Unternehmenszweck vereinbar ist und nicht darüber hinausschiesst oder falsche Versprechungen oder Erwartungen schürt.
ABSCHLIESSENDE GEDANKEN
Ein Unternehmen kann nur dann langfristig zum Wohlstand der Gesellschaft beitragen kann, wenn es wirtschaftliche profitabel arbeitet. Nur dann kann es seinen Arbeitskräften eine gute Entlohnung bieten, Lieferanten und Kapitalgeber bezahlen, in Forschung, Entwicklung, neue Technologien und Vermögensgegenstände investieren und durch seine Aktivitäten Steuern zahlen. Wie Hans Merkle sagte: «Gewinn ist nicht alles – aber ohne Gewinn ist alles nichts.»
Die klare Definition des Unternehmenszwecks ist dabei der Schlüssel – sowohl für die interne Steuerung als auch für die externe Berichterstattung. Ganz besonders in Zeiten, in denen Unternehmen, Eigentümer und Manager eines erhöhten öffentlichen Drucks ausgesetzt sind. Wir unterstützen Sie gerne bei der Konkretisierung Ihres Unternehmenszwecks und der Umsetzung in eine transparente, authentische Strategie.